Dreieinhalb Jahre saß Joaquin Jose Martinez im Todestrakt eines amerikanischen Gefängnisses und wartete auf seine Hinrichtung. Dann wurde sein Prozess wieder aufgenommen, seine Unschuld bewiesen und er kam frei. Am 18.11.2021 war Martinez als Gast am Gymnasium an der Gartenstraße und erzählte den Schüler*innen der Stufe 9 seine Lebensgeschichte.
Er lebte „the perfect american dream“: 1971 geboren, hatte er schon mit Mitte 20 ein Haus am Meer, zwei kleine Töchter, einen schnellen Sportwagen und viel Geld, er bezeichnet sich selbst aber als „stupid and arrogant“. Da geschah 1995 ein Doppelmord in seiner Heimatstadt in Florida, überall in der Öffentlichkeit hingen Fotos der Opfer, die Polizei suchte fieberhaft nach dem Mörder, und die Bevölkerung wurde aufgerufen zur Mithilfe. Aus Wut und Rache über die Trennung behauptete seine Ex-Frau er habe ihr die Morde gestanden. Als Beweis seiner Schuld dienten dem Gericht Tonbandkassetten- Aufzeichnungen von Gesprächen mit seiner Ex-Frau, die so schlecht in der Qualität waren, dass man nur wenig verstehen konnte. Die 12 Geschworenen glaubten seiner Ex-Frau, er wurde verurteilt und fand sich plötzlich im Todestrakt wieder. Selbst da glaubte er noch, dass Todesstrafe richtig und gut sei, er hatte sie nie hinterfragt. Er ist aufgewachsen in einem System mit der Todesstrafe, die er früher nie in Frage gestellt hat. Es ist auch nie ein Gegner dieser Strafe in seiner Schulzeit in seine Schule gekommen, wohl aber Richter und Staatsanwälte, die diese Praxis befürworteten und erläuterten.
Nun fand er sich plötzlich selbst als verurteilter Mörder im Todestrakt und seine amerikanischen Freunde wandten sich von ihm ab. Jedoch fand er in Spanien, wo seine Eltern lebten, viele Unterstützer, die unermüdlich an einer Wiederaufnahme des Prozesses arbeiteten.
Seine Zellennachbarn im Todestrakt hielt Martinez anfangs noch für „Monster“. Doch dann lernte er die menschlichen Seiten seiner Mithäftlinge kennen, er sah, dass sie Familien und teilweise selbst Kinder haben und er erzählte, wie sie untereinander Bücher oder Stift und Papier geteilt haben. Aber er berichtete auch von Schlägen im Gefängnis, von Angst vor dem Tag der Vollstreckung und davon, dass von 13 Mithäftlingen 10 hingerichtet und 2 in der Haft eines natürlichen Todes gestorben waren. Einer seiner Mithäftlinge war Franky Smith, ein Afro-Amerikaner, der der Vergewaltigung und des Mordes an einem neunjährigen Mädchen beschuldigt war, er beteuerte trotz Verurteilung immer wieder seine Unschuld. Nach 19 Jahren im Todestrakt starb er einsam an Krebs, niemand hatte Mitleid mit ihm. Erst nach seinem Tod gestand ein anderer Mörder auch den Mord, für den Smith zu Unrecht verurteilt worden war. Anders als Martinez hatte er keine Unterstützer, niemand half ihm, ein DNA-Test wurde im Fall Smith erst nach dessen Tod gemacht.
Martinez kam 2001 frei und lebt nun mit seiner zweiten Ehefrau und fünf weiteren Kindern in Spanien. Seit 20 Jahren engagiert er sich für die Abschaffung der Todesstrafe und erzählt immer wieder von seinen Erlebnissen und besonders eindringlich von seinem Sinneswandel.
Auch unseren Schüler*innen erzählt er mit brechender Stimme von Franky Smith, für ihn mache er es, „I allways bring Franky with me“! Es gab die Möglichkeit weitere Fragen zu stellen, und beim Verlassen der Aula gab es viele nachdenkliche Gesichter – auch wenn in Deutschland oder Spanien die Todesstrafe abgeschafft ist, so ist es doch ein wichtiges Thema, über das es sich auch im Unterricht weiter zu reden lohnt.
Wir danken der Gemeinschaft Sant Egidio, einer christlichen Gemeinschaft aus Mönchengladbach, die diesen Besuch bei uns organisiert hat. Sant Egidio, ein Netzwerk in über 70 Ländern vertreten, wird im Kampf gegen Todesstrafe von Martinez seit vielen Jahren unterstützt, denn in vielen Ländern der Welt wird sie noch praktiziert.